Schattenjagd by Saintcrow Lilith

Schattenjagd by Saintcrow Lilith

Autor:Saintcrow, Lilith [Saintcrow, Lilith]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Paranormal
ISBN: 9783802583070
Herausgeber: LYX
veröffentlicht: 2010-08-14T22:00:00+00:00


16

Ich rannte noch immer, als das Taxi hinter mir fortfuhr und ich durch die Eingangstür stürmte. Meinen zerschlissenen, ruinierten Mantel warf ich über den üblichen Stuhl am Ende des Flurs und stapfte in den Fitnessraum. Das Knarzen und Hallen des Warenlagers, das auf meine Rückkehr reagierte, nahm ich kaum wahr.

Die abgewetzten roten Seiten des verstärkten Sandsacks, der von der Decke baumelte, waren schon mehrere Male mit neuen Streifen repariert worden. Noch bevor ich ihn erreichte, waren meine Hände schon so fest zu Fäusten geballt, dass ich meine Knochen knacken hörte.

Dann legte ich los. Von Leder und Plastik schallte dumpfes Patschen. Die Talismane in meinem Haar klimperten. Linker Haken, Uppercut, rechter Haken, Kombinationen, die Michail mir beigebracht hatte. Mein zweitbestes Paar Stiefel rieb über die Bodenmatten, der Sandsack bebte und mir lief der Schweiß über Rücken, Arme und Beine.

Ich hörte die Stimme meines Lehrers, geprägt vom harschen Singsang des Gossenrussisch, doch in der Sprache, die wir beide teilten. Benutze es, nutze es, nutze es! Wut ist dein bester Freund! Du solltest das im Schlaf hinkriegen, Milaya. Benutze sie! Schlag das Ding zusammen! Töte es! Tu es!

Wie hatte er nur erkennen können, dass Potenzial in mir steckte, in diesem verängstigten, dürren, verprügelten Mädchen im Schnee? Er hatte es mir nie verraten.

Natürlich hatte ich auch nie danach gefragt, zu dankbar war ich, dass er sich meiner angenommen hatte. Zu dankbar für die Aufmerksamkeit, die er mir schenkte, nach der ich schon völlig ausgehungert war. Man erwartet von uns, dass wir unsere Lehrer lieben, sonst wäre die Ausbildung schlicht unerträglich. Du musst deinem Meister von ganzem Herzen und aus ganzer Seele vertrauen, wenn er das andere Ende des dünnen, dehnbaren Silberseils halten soll, das dein einziger Weg zurück aus der Hölle ist, wenn du erst einmal hinabgestiegen bist. Und auch Michail und ich waren Geliebte gewesen – es war unvermeidbar, bei so viel Adrenalin und andauerndem Kontakt: zwei Menschen, die sich näherstanden als Geschwister, Ehepartner oder sogar Zwillinge.

Genauso erwartet man aber auch von uns, dass wir unsere Meister hassen, denn sie müssen uns das Kämpfen lehren. Ein Lehrer kann es sich schlicht nicht leisten, sich mit seinem Lehrling anzufreunden. Im Trainingsraum mit Nachsicht behandelt zu werden, bedeutet, dass man nicht vorbereitet ist auf das, was in den finsteren Tiefen der Schattenseite lauert. Und kein Lehrer kann das wollen. Einen Mitjäger zu verlieren ist schlimm.

Einen Lehrling zu verlieren ist tausendmal schlimmer.

Michails geisterhafte Stimme zu hören war also gleich zweifacher Trost für mich. Auch ich gab einen Laut von mir. Einen leisen Schmerzenslaut, als hätte jemand auf mich eingestochen. Die Haut über meinen Knöcheln brach auf, fing an zu bluten und hinterließ feuchte Abdrücke auf dem dicken roten Plastik. Das Blut würde den Ring verkrusten, den Michail mir gegeben hatte, als er mich als Lehrling akzeptierte, den Ring, der eine dünne, mitleidvolle Klage ausstieß, als er meinen feurigen Schmerz spürte. Der geschliffene Rubin spuckte einen Funken nach dem anderen, jeder einzelne ein Feuerwerk der Enttäuschung.

Schweiß tropfte mir in die Augen, brannte, doch ich schlug immer weiter auf den Sack ein.



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